Disclaimer
Wir möchten unsere Infrastruktur und unsere Reichweite auch externen Beiträgen rund um Myanmar zur Verfügung stellen. Grundbedingung hierfür ist, dass diese mit unseren Werten und der Satzung kompatibel sind.
Wir möchten der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass Gastbeiträge nicht die Meinung des Vereins, sondern die der schreibenden Einzelperson widerspiegeln.
Der heutige und erste Gastbeitrag stammt vom “Atelier Resistance“, quasi der aktivistische Blog von „The Couture Club Bruxelles“ und ist im Original in französisch erschienen. Die französische Version findest Du hier. Im Folgenden die Übersetzung auf deutsch:
“Geschichte des Widerstands: Myanmars Bewegung für Demokratie
An alle Fadenfreunde und -freundinnen da draußen: HALLO!
In diesem vorletzten Beitrag vor der dringend benötigten Weihnachtspause möchte ich eine neue Serie des Atelier Resistance starten: Geschichten des Widerstands, aus denen wir alle Inspiration, Lehren und Überlegungen ziehen können, um unsere Bewegung zu stärken (das hatte ich euch im allerersten Beitrag versprochen und ich halte ja mein Wort!)
Solche Geschichten gibt es überall auf der Welt und über die Jahrhunderte. Ich hatte eine Liste historischer Widerstandsbewegungen erstellt, die ich mit euch teilen wollte (vielleicht in einem zukünftigen Blogbeitrag). Aber wie das Leben so spielt, bin ich dabei auf die Demokratiebewegung in Myanmar gestoßen, die gerade hell brennt, während ihr das hier lest.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich war die Situation in Myanmar immer eine vage, verschwommene Information, die ich in die mentale Kategorie der ernsten, ungerechten und beunruhigenden Dinge einordnete. Dinge, denen ich Beachtung schenken werde, wenn ich Zeit habe, dabei weiß ich, dass ich es nicht tun werde. Ich habe noch nie viel darüber gehört und vielleicht könnte man unsere Medien auch fragen, warum…
Glücklicherweise lernt man in der internationalen Studentengemeinschaft viele coole Leute kennen. Ich hatte das Glück einen Aktivisten zu treffen, der mit seinem Verein German Solidarity with Myanmar Democracy e.V. Veranstaltungen und Kampagnen organisiert, um auf die Situation aufmerksam zu machen, Ressourcen zu generieren und humanitäre Hilfe vor Ort zu unterstützen. Ich war bei der Vorführung des Dokumentarfilms Padauk: Myanmar Spring (den Trailer könnt ihr hier sehen). Es hat mich umgehauen.
Hier ist eine kurze Zusammenfassung der Situation in groben Zügen: Myanmar (oder Burma) hat Jahrzehnte politischer Instabilität hinter sich, die von Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen geprägt waren. Diese gipfelten in einem Militärputsch am 1. Februar letzten Jahres, als die Armee die Macht an sich riss, die neu gewählte Regierung verhaftete und sie von jeglicher Kommunikation abschnitt. In den darauffolgenden Wochen kam es zu massiven Protesten und gewaltfreien Demonstrationen aller Art seitens der Zivilgesellschaft. Der Dokumentarfilm zeigt auf bewegende und aufklärende Weise die Größe und Kreativität der Bewegung, die es schafft Menschen aus allen sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Schichten hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen. Wir sehen Tänze, Lieder, Slogans, Symbole, Wandmalereien, Märsche usw. in so vielen Farben, wie der Regenbogen besitzt.
Leider dauerte es nicht lange, bis militärische und diktatorische Repressionen einsetzten und die Gewalt eskalierte. Heute werden massenhaft Menschen verhaftet. Die Liste der vielen Toten und Verschwundenen wird immer länger, Soldaten terrorisieren die Straßen und oft ist jede Möglichkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren oder humanitäre Hilfe zu erhalten, verhindert. Als ich die Berichte von Aktivisten zuhörte, die ihre Angehörigen verloren hatten, als ich den Mut und die Tapferkeit von Bürgern sah, die jünger waren als ich und mit ungebrochener Entschlossenheit, auf die Straße gingen, um ihre Sache weiter zu verteidigen, als ich die grausamen Szenen von Gewalt, Bomben, Schüssen und Zerstörung betrachtete, die das tägliche Leben in diesem Land ausmachen, konnte ich meine Tränen kaum zurückhalten.
Neben dem Gefühl der Dringlichkeit überkam mich ein enormes Gefühl der Hilflosigkeit, gemischt mit einer tiefen Verzweiflung. So viel Schmerz, so viele Sorgen, so viele Ursachen, so viele Verluste. Ich wollte mich ja der globalen Erwärmung widmen, sollte ich mich jetzt in der Organisation meines befreundeten Aktivisten engagieren? Ganz zu schweigen von der Sache der Frauen in Sri Lanka, die Opfer von Frauenmorden werden, ein Thema, zu dem ich einige Tage zuvor an einer Debatte teilgenommen hatte. Wo soll ich anfangen? Was mache ich hier, sitze auf einer Universitätsbank, mampfe Kekse und weine über projizierte Bilder, die die Realität anderer Menschen am anderen Ende der Welt sind?
Dann überkam mich eine Erkenntnis, die ich als “erleichternd” bezeichnen könnte, weil sie mir erlaubte, durch diesen großen Nebel zu blicken. Es ist nur ein weiterer Schritt nötig, um die Verbindungen zwischen all diesen Ursachen zu erkennen, denn es ist dasselbe System, das die geopolitischen Bedingungen schafft, die zur Krise in Myanmar führen. Dasselbe System, das patriarchalische Werte unterstützt, die zu Hunderten von Frauenmorden in Sri Lanka führen und dasselbe System, das zügellos CO2-Emissionen erzeugt, die unseren Planeten in die Katastrophe führen. Dieses System zu bekämpfen bedeutet, alle diese Kämpfe gleichzeitig anzugehen. Mit anderen Worten, Myanmar Aufmerksamkeit zu schenken und die Hand zu reichen ist notwendig, um die Umweltkrise zu bewältigen, so wie die Lösung der Umweltkrise notwendig ist, um Myanmar zu entlasten.
Dieser Zusammenhang zwischen Krieg und Umwelt wurde mir noch klarer, als uns während der Filmvorführung erklärt wurde, dass die Nachbarländer aufgrund ihrer Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen und dem Gas, die ihnen das diktatorische Regime liefert, politisch stumm bleibt. Weitergedacht, es handelt sich um eine wechselseitige Beziehung: Einerseits können Knappheit und Wettbewerb um natürliche Ressourcen zu Konflikten führen (es gibt viele Beispiele), andererseits sind die Auswirkungen von Kriegen auf die Umwelt und die globale Erwärmung immens.
Eine weitere Verbindung zwischen Bewegungen wie Myanmar und der Umwelt, auf die mein Freund in unseren späteren Gesprächen hinwies, ist die der Menschenrechte. Diese sind notwendig, um die Bedingungen für eine bessere Welt zu schaffen. Er nannte mir das schockierende Beispiel der offiziellen Bildungstechniken unter dem gegenwärtigen diktatorischen Regime: Die Kinder schreien ihre Lektionen im Unterricht, so dass was sie lernen, jederzeit vom Militär, das ständig auf den Straßen patrouilliert, kontrolliert werden kann. Diese enormen Einschränkungen der Freiheiten werden in dem Dokumentarfilm auch dadurch deutlich, dass Zeugen berichten, wie die staatlichen Medien ständig Anti-Rohyngia-Propaganda ausstrahlen und damit jede Möglichkeit, die grausame Wahrheit zu erfahren und kritisch zu hinterfragen, zunichtemachen. Wie können wir das heutige System in Frage stellen, wie können wir uns austauschen und organisieren, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, zu reflektieren, uns zu informieren oder frei zu sprechen?
Schließlich ist es wichtig – anders als ich es früher getan habe – sich nicht zu fragen: was kommt zuerst. Man soll nicht wählen zwischen einer gesunden Umwelt zuerst und dann der Gewährleistung der Menschenrechte, oder umgekehrt , dass die Menschenrechte die notwendige Voraussetzung für die Schaffung einer gesunden Umwelt sind. Vielmehr können wir beides als Teil eines umfassenden neuen Systems sehen. Einer neuen Welt, für die wir uns alle einsetzen, in den Reihen der Aktivisten auf der ganzen Welt, die in Myanmar auf die Straße gehen, in Sri Lanka gegen Frauenmorde kämpfen oder sich im Amazonasgebiet oder in anderen Organisationen und Institutionen für Umwelt und Klima einsetzen.
Und hier kommt der letzte Punkt, mit dem ich abschließen möchte. Der Punkt, der meine Kampfbereitschaft neu entfacht und mich inspiriert hat (und ist das nicht der Grund, warum wir diese Geschichten teilen und brauchen? Ziel erreicht!): Wenn all diese Kämpfe sich zusammenschließen und dasselbe globale System, dieselbe Werten, Normen und Dynamiken, die all diese Ungerechtigkeiten und Katastrophen hervorbringen kritisieren und bekämpfen, dann können wir eine ganz neue Welt verteidigen und fördern, und es gibt keine Zeit zu verlieren. Wir müssen das System von allen Seiten angreifen, es in all seinen Aspekten anknabbern, überall und unaufhörlich, bis es fällt. Wir müssen für unsere Werte, unsere Hoffnungen, unsere Forderungen, unsere Visionen von einer Welt des Widerstands eintreten und sie weiterhin schreien, träumen, singen, teilen, an die Wände malen, verbreiten und umsetzen. Wir brauchen jeden von uns, jede*r ist wichtig und jede*r hat eine Rolle zu spielen. Mein Freund erzählte mir, dass es seine Reisen nach Myanmar und seine Erfahrungen dort waren, die ihn dazu brachten, sich für diese Sache zu engagieren. Aber es gibt so viele andere. Einzeln sind wir zu klein und haben zu wenig Energie und Zeit, um sie alle anzugehen. Aber gemeinsam können wir etwas bewirken, wenn wir uns alle auf die eine oder andere Weise beteiligen, ob groß oder klein. Es geht nur darum, anzufangen und daran zu glauben, die Verzweiflung in Mut zu verwandeln (Coeur-age, erinnern Sie sich an das Lexikon? Siehe Blogpost #4). Myanmar brennt immer noch und obwohl es in der internationalen Gemeinschaft einige Entwicklungen gegeben hat, wie den Fall Gambia gegen Myanmar vor dem Internationalen Gerichtshof, ist die Situation dringender und ernster denn je. Wenn ihr euch in dieser Sache engagieren und in irgendeiner Weise Unterstützung zeigen wollt, könnt ihr Website von GSwMD e.V. besuchen.
Ich schließe diesen Beitrag mit dem Gedicht des Dichters Maung Chaw Nwe, das auch im Dokumentarfilm verwendet wird und sich auf subtile Weise auf die Padauk-Blumen (Titel des Dokumentarfilms), das nationale Symbol Myanmars, bezieht. Es heißt, sobald die ersten gelben Knospen blühen, dauert es nur eine Nacht, bis sich der ganze Baum verwandelt hat und am Morgen in goldenem Glanz erstrahlt…
To Wilt is to Bloom – Maung Chaw Nwe
For flowers,
To wilt is to bloom.
If you pluck one
One more rises.
If you drop two
Two more spring up.
Come! Knock us down,
Wild gust; tumble us,
Cut us down, storming blades,
Blow your hardest, do your worst.
Litter the ground with our buds,
Trample on us, see if we care.
To wilt is to bloom,
That’s the flowers’ doctrine.
You may crush us, we may fall,
But when we die we rise again.
(translated by Kenneth Wong)
Habt einen wundervollen Sonntag <3″
Übersetzung mithilfe von Nathalie Cazier!