Sehr geehrte Damen und Herren,
am 28. März wurde Myanmar vom dort größten Erdbeben der letzten 100 Jahre erschüttert. Das ohnehin schwer gebeutelte Land, in dem schon vor dem Beben wegen des menschenverachtenden Vorgehens der Militärjunta im Revolutionskrieg über 19 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen waren, steht nun vor noch massiveren Herausforderungen, um weiteres Massensterben und -leiden durch die längerfristigen Folgen des Bebens zu verhindern.
Die größte dieser Herausforderungen stellt die Militärjunta selbst dar. Wie schon in zahlreichen Medien berichtet wurde, hat das Militär Myanmars seine brutale Unterdrückung der Bevölkerung fortgesetzt und ist dabei, dadurch noch größeren Schaden anzurichten, anstatt Katastrophenhilfe für die Bevölkerung zu leisten. Wie schon beim Zyklon Nargis 2008, Zyklon Mocha 2023 und den Überflutungen nach dem Taifun Yagi 2024 ist das Militär bei den Hilfsarbeiten nicht nur abwesend, sondern die Generäle und ihre Untergebenen stehlen humanitäre Hilfe und blockieren absichtlich Lieferungen von Hilfsgütern in Gebiete, die vom Widerstand kontrolliert werden – egal, wie schwer sie vom Beben betroffen sind. Inhaftierte oppositionelle Ärzte werden trotz extremen Mangels an Gesundheitsfachkräften und des Leidens zig Tausender Verletzter nicht freigelassen.
Selbst tägliche Luft- und Artillerieangriffe im Erdbebengebiet setzt das Militär auch nach dem verheerenden Erdbeben fort, und es hat offiziell erklärt, dass der Krieg unbegrenzt weitergeführt wird. Mehrere Widerstandsgruppen hatten nach dem Erdbeben die Bereitschaft zu einer Pause von offensiven Aktivitäten erklärt. Der angebliche Waffenstillstand vom 2. bis 20. April 2025 seitens der Junta, kurz vor dem Besuch ihres Führers beim BIMSTEC-Treffen in Thailand angekündigt, wurde dagegen noch in der Nacht nach seiner Verkündung durch ihre Taten Lügen gestraft. Seitdem hat die Militärjunta quer über das Land an allen Fronten und vor allem auch in Gebieten, in denen gar keine Kampfhandlungen zwischen Bodentruppen stattfinden, unter Einsatz ihrer Armee, Luftwaffe und Marine den Krieg eskaliert.
Überlebensnotwendige humanitäre Hilfe wird daher einem sehr großen Teil derer in Myanmar, die sie dringend benötigen, vorenthalten. Zwar lässt sich eine gewisse Ebene der Koordination mit der Junta nicht vermeiden, da Teile der von den Erdbeben betroffenen Gebiete sich unter ihrer Kontrolle befinden. Wollen Deutschland und die EU aber wirklich sinnvoll und ohne Diskriminierung helfen, muss nun endlich mutig gehandelt werden. Mit der Bereitstellung von Hilfsgütern und -personal müssen Forderungen verbunden werden, und es müssen vor allem zusätzliche, alternative Hilfswege im Sinne eines parallelen Systems der humanitären Hilfe unterstützt werden – also auch über das zivile National Unity Government (NUG) und ethnische Widerstandsorganisationen sowie lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, die seit Jahrzehnten Erfahrung in der wirkungsvollen Ausbringung humanitärer Hilfe in Myanmar haben.
Konkret schlagen wir folgende Vorgehensweise vor; hierbei verweisen wir auch auf einen offenen Brief, der von über 260 Organisationen, die in oder zu Myanmar arbeiten, mitunterzeichnet wurde, sowie auf Stellungnahmen des NUG und mehr als sieben ethnischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen Myanmars vom 8.4. und 16.4.2025, welche sich in ihren Forderungen mit den unten stehenden decken:
Deutschland und die EU stellen in Zusammenhang mit der Katastrophenhilfe die folgenden Forderungen an die Militärjunta:
- Sofortige Verkündung und Einhaltung eines einmonatigen Waffenstillstands, der durch Einrichtung eines internationalen Mechanismus überwacht wird
- Komplettes Ende der Kommunikationsblockade (Internetsperren aufheben, alle in- und ausländischen Medien und Medienvertreter zulassen bzw. einreisen und ungehindert tätig sein lassen)
- Freilassung „oppositioneller“ Ärzte aus den Gefängnissen des Landes, da diese lebensnotwendige Hilfe leisten können
- Ungehinderter Zugang von humanitärer Hilfe und für humanitäre Helfer auch zu vom Widerstand kontrollierten Gebieten. Die humanitäre Hilfe muss diskriminierungsfrei und unparteiisch sein und ohne Einschränkung alle betroffenen Gebiete Myanmars erreichen.
- Aussetzen der Zwangsrekrutierung, die vom Militär Myanmars auch während und nach dem Erdbeben unvermindert weiter durchgeführt wird
- Uneingeschränkter humanitärer Zugang zu Gefängnissen, die vielfach vom Einsturz bedroht sind – insbesondere für die zahlreichen politischen Gefangenen in Myanmar besteht akute Lebensgefahr
- Ungehinderte Erteilung von “Visa on Arrival” für alle Vertreter ausländischer Hilfsorganisationen und Medien unmittelbar bei Ankunft, nicht nur in den internationalen Flughäfen, sondern an allen Grenzübergängen des Landes
Zusätzlich müssen folgende alternative Hilfswege umgesetzt werden:
- Keine direkten Lieferungen an vom Militär kontrollierte Behörden wie z.B. das Myanmar Red Cross, Feuerwehr oder Polizei in von der Militärjunta kontrollierten Gebieten
- Zusammenarbeit mit lokalen, regionalen und internationalen zivilgesellschaftlichen und Nichtregierungsorganisationen, die auch oder ausschließlich in solchen Gebieten Myanmars tätig sind, welche nicht von der Militärjunta kontrolliert werden
- Ausbringen von humanitärer und medizinischer Hilfe in Zusammenarbeit mit dem Ministry of Humanitarian Affairs and Disaster Management und dem Ministry of Health des NUG sowie ethnischen Gesundheitsdienstleistern
- Einwirken auf Bangladesch, Indien und Thailand, um humanitäre Korridore sowie andere Arten grenzübergreifender humanitärer und medizinischer Hilfe für Myanmar zuzulassen
- Unterstützung der Hilfsaktivitäten bereits existierender, grenzübergreifend tätiger Organisationen
Jede Minute zählt für die Menschen in Myanmar. In Anbetracht weiterer unmittelbar bevorstehender Katastrophen wie Epidemien (Cholera, Malaria mit Resistenzentwicklung, Zoonosen mit Pandemie-Potenzial, usw.) infolge von mangelndem und verseuchtem Trinkwasser, fehlender Nahrung und medizinischer Versorgung, zusammengebrochener Handelswege und Lieferketten sowie allen voran durch die Eskalation der Gewalt durch die mit Putins Russland verbündete, terroristische Militärjunta, dürfen sich weder die aktuell geschäftsführende noch die kommende Bundesregierung und die EU weiterhin auf “konventionelle” Hilfslieferungen beschränken, da schon lange bekannt ist, dass diese die Menschen in Not in Myanmar nur sehr unzulänglich und in diskriminierender Weise verteilt erreichen.
Es ist höchste Zeit für mutige Schritte, um der Bevölkerung Myanmars in ihrer dunkelsten Stunde nun endlich wirkungsvoll und kosteneffektiv zur Seite zu stehen.
Mit freundlichen Grüßen
German Solidarity Myanmar e.V.
Die folgenden Organisationen unterzeichnen diesen Brief.
Aktion Myanmar – Hilfe für Entwicklungsländer e.V. (https://www.aktionmyanmar.org/)
Chin Community Germany e.V. (https://www.ccgev.de/)
Dental International Aid Networking Organisation – DIANO e.V.
Free Rohingya Coalition (https://freerohingyacoalition.org/en/)
Myanmar Institut e.V. (https://myanmar-institut.org)
Stiftung Asienhaus (https://www.asienhaus.de)
Weltfriedensdienst e.V. – WfD (https://wfd.de)
